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Vom Sinn und Unsinn des „Notgroschens“: Eiserne Reserve – und wenn ja, wie viel?

Das Ziel, ein Vermögen aufzubauen, hat schon so manchen zum Erbsenzähler gemacht. Solange es nicht die Gesundheit oder soziale Bindungen schädigt, ist auch gegen fortgeschrittenen Frugalismus nichts zu sagen; es gibt schlimmere Angewohnheiten.

Auffallend ist aber auch, dass die gleichen, hartgesottenen Sparer an anderen Stellen ganz gefühlig werden und Opportunitätskosten zwecks „Seelenfrieden“ in Kauf nehmen. So der Fall beim „Notgroschen“, der bei Vielen sehr groß ausfällt, und dessen Sinnhaftigkeit wir hier beleuchten wollen.

Größere Geldbeträge – zu welchem Zweck auch immer – auf dem Giro- oder Tagesgeldkonto liegen zu lassen verursacht Opportunitätskosten: Dadurch, dass dieses Geld bewusst nicht in Aktien, ETFs, Gold oder Bitcoin anlegt wird, wird sehenden Auges auf eine sehr wahrscheinliche Mehrrendite verzichtet.

Die Absicht dahinter ist bekannt: Ein angenommenes, zeitliches Zusammentreffen einer unerwarteten und unvermeidlichen Zahlungsverpflichtung mit temporär am Boden liegenden Kursen der eigenen Geldanlagen soll vermieden werden.

Schließlich müsste man dann widerwillig Aktien, Gold, ETFs oder Bitcoin zu schlechtem Kurs verkaufen, um dieser plötzlichen Zahlungsverpflichtung nachzukommen.

Doch müsste man das wirklich, und falls ja, ist der Teilverkauf von Geldanlagen dann teurer oder billiger, als das – oftmals zeitlich unbefristete – Vorhalten von – oftmals gar nicht so kleinen – Barbeständen mit dem damit einhergehenden Renditeverzicht?

Wie schnell muss man in Deutschland im Notfall Geld herbeischaffen?

Gemein ist vielen Notgroschen-Apologeten, dass Sie die Gefahr unvermittelt auftretender Kosten, die dann offenbar auch noch sofort oder binnen weniger Tage beglichen werden müssen, für real halten.

Doch wie wahrscheinlich, oder auch nur möglich, sind solche sofort zu zahlenden Rechnungen, die nicht bis zum nächsten Gehaltseingang warten können, überhaupt?

Üblich sind bei Rechnungen im Geschäftsverkehr, aber auch bei Rechnungen an Privat eine Zahlungsfrist von etwa zwei Wochen oder länger. Zu den Gepflogenheiten gehört auch, eine drauffolgende Mahnung nicht gleich an Tag 14 hinterherzuschicken, sondern einige Tag später.

Beispielsweise sieht die EU-Richtlinie gegen Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr Fristen von 60 bzw. 30 Tagen für Rechnungen zwischen Unternehmen bzw. Unternehmen und öffentlicher Hand vor.

Hier soll vor allem der notorische Spätzahler Öffentliche Hand an die Kandare genommen und Unternehmen entlastet werden. Und doch werden 30 Tage, zwischen Unternehmen sogar max. 60 Tage eingeräumt, und nicht etwa 3 oder 7.

Bei Verbrauchern beträgt die gesetzliche Zahlungsfrist 30 Tage, wenn nichts anderes vereinbart wurde. Diese kann vom Rechnungssteller z.B. auf zwei Wochen verkürzt werden, aber selbst dann muss zunächst gemahnt werden. Üblich sind sogar bis zu drei Mahnungen, bevor der Rechtsweg beschritten wird.

Allzu forsche, knappe Zahlungsfristen stoßen vor Gericht auf wenig Gegenliebe, da ein gewisses Maß an Verhältnismäßigkeit und Abwägung der Interessen immer vorausgesetzt wird.

Im übrigen freuen sich Gläubiger regelmäßig über die proaktive Kontaktaufnahme durch den Schuldner und gewähren praktisch immer Zahlungsaufschub. Hundertprozentig sicher kann sich ein Gläubiger schließlich nicht sein, dass er seine Forderung erhält, und mit so einer Bitte um wenige Wochen Aufschub demonstriert der Schuldner Verantwortungsbewusstsein und bestätigt nebenbei die Forderung.

Potentielle Situationen, in denen „sofort“ Geld benötigt wird

Welche Situationen sind denkbar, in denen sofort dreistellige und höhere Geldbeträge benötigt werden?

Der Klassiker: Waschmaschine geht kaputt (oder Geschirrspüler, Herd)

Wenn die Waschmaschine kaputtgeht, fallen Kosten von 350 EUR inkl. Versand an, wenn es kein Markengerät sein muss. Das rechtfertigt nicht das Vorhalten mehrerer Tausend oder gar Zehntausend EUR. Zudem besteht die Möglichkeit, ein bis zwei mal in den Waschsalon zu gehen, bis das nächste Gehalt da ist. Oder, in Haushalten ohne Kinder, etwas dreckige Wäsche ansammeln und nur einmal in den Salon.

Geschirrspüler: Eine Weile Geschirr selbst spülen.

Herd: Ratenkauf, Zahlungsaufschub, Dispo, Bestellen und ein paar Mal kalte Küche, das gute deutsche Abendbrot.

Auto, Fahrrad, PC oder Smartphone gehen kaputt

Hier sind die Kosten meist ebenfalls gering bzw. kann ein Zahlungsziel oder eine Finanzierung mit dem Händler vereinbart werden. Falls nicht, ist vieleicht ein kurzfristiges Ausnutzen eines Dispokredits möglich.

Tierarzt

Auch Tierbehandlungen kosten in der Regel maximal wenige Hundert EUR. Auch mit Tierärzten kann man Zahlungsaufschub oder Ratenzahlung vereinbaren. Empfehlenswert ist es, dies vor der Behandlung anzusprechen.

Wartezeit bis zum erstmaligen Erhalt staatlicher oder Sozialversicherungsleistungen

Auch hier sollte mit Gläubigern ein Zahlungsaufschub einfach zu vereinbaren sein, da die Situation nicht ungewöhnlich oder böswillig herbeigeführt ist und der Schuldner (Staat) zahlungskräftig, ein Ausfall also praktisch ausgeschlossen ist.

Heizung u.ä. im Eigenheim kaputt

Als Mieter ist man nicht für die Kosten zuständig, und als Eigentümer muss man die Rechnung auch nicht sofort zahlen. Bei diesen, unter Umständen größeren Beträgen müsste ein Notgroschen schon sehr groß sein und würde somit größere Opportunitätskosten verursachen.

Da auch der nächste Gehaltseingang vielleicht nicht reicht, muss man hier eben einen Verkauf von Geldanlagen in Betracht ziehen. Das sollte sich unterm Strich besser rentieren, als Zehntausend(e) EUR jahrelang als Tagesgeld oder sogar unverzinst liegen zu lassen, statt es arbeiten zu lassen. Alternativ sollte die Bank hierfür bereitwillig einen Kredit vergeben.

Abgesehen davon spart man für Immobilien üblicherweise eine Instandhaltungsrücklage an. Auch diese könnte man investieren statt sie bar auf Giro- oder Festgeldkonto zu halten.

Dispo oder anderer, kurzfristiger Kredit statt Notgroschen

Wer eine Geldanlage hat, sollte keine größeren Probleme haben, einen kurzfristigen Kredit aufzunehmen oder den Dispo zu nutzen. Auch ohne Geldanlage, aber mit regelmäßigem Gehaltseingang, sollte dies möglich sein.

Notgroschen-Fans scheinen davon auszugehen, dass Ihnen niemand im Notfall Geld leihen wird, trotz Gehaltseingang und wahrscheinlich existierender Geldanlage. Das ist in etlichen Fällen vermutlich etwas herbeigeredet oder gründet eher auf dem Anspruch, jederzeit autark zu sein und niemanden um Kredit fragen zu müssen.

Doch gerade, wenn es darum geht, die Geldanlagen nicht (teilweise) auflösen zu wollen, kann ein Kredit wirtschaftlich vernünftig sein, und das wird die Bank ähnlich sehen, wenn die Zahlungsfähigkeit grundsätzlich gegeben ist.

Dieser stolze Anspruch, oder die Ängstlichkeit, niemandem Rechenschaft schuldig zu sein und niemanden „bitten“ zu müssen, ist unter Umständen teuer erkauft, vor allem bei einem großen Notgroschen, der viele Jahre ungenutzt herumliegt, und sollte überdacht werden.

Angemessene Höhe eines „Notgroschens“

Wir halten, laufende Gehaltseingänge und eine existierende Geldanlage in Immobilien, Aktien, Gold u.ä. vorausgetzt, vor dem Hintergrund der Opportunitätskosten, einen Notgroschen von circa 1.000 EUR pro Haushaltsmitglied und vielleicht 300 EUR pro Haustier für ausreichend.

Der Grundgedanke hierzu ist folgender: Kann man selbst 300 EUR nicht innerhalb von 2 Wochen begleichen, sorgt das vielleicht für Stirnrunzeln und mangelnde Kooperation beim Gläubiger. Dass man allerdings für Tausende EUR etwas Luft braucht, ist überhaupt nicht ungewöhnlich und sollte nirgends innerhalb weniger Wochen den Rechtsweg in Gang setzen oder sonstige negative Konsequenzen haben.

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